Im Juli 2023 stand Landsberg am Lech ganz im Zeichen des Ruethenfests. Rund 1000 Kinder stellen bei der Veranstaltung die Geschichte ihrer Stadt in bunten Kostümen dar. Das Fest geht zurück auf das Jahr 1647 und wird erst 2027 wieder gefeiert. Es ist inspiriert von historischen Ereignissen sowie von Gemälden, die im alten Rathaus und in der Heilig-Kreuz-Kirche zu sehen sind. Im Portrait: die Panduren mit ihrem Lager in der Lechstraße und ihre Vorbereitungen auf das Lagerleben.
Die Panduren sind die Darsteller der letzten, historisch jüngsten Szene der Stadtgeschichte. Sie stellen die Verschleppung des Bürgermeisters und zweier Jesuiten aus der Stadt sowie die Gefangennahme von Landsberger Frauen dar – nach einem Gemälde in der Heilig-Kreuz-Kirche. Verwantwortlich für die Gruppe, die es seit 1999 gibt, ist Wolfgang Müller-Hahl. Zusammen mit vielen Ideengebern und Helfern baute er sie als drittes Lager in der Ruethenfestgeschichte auf. Älter sind die Gruppen und Lager der Landsknechte und der Schweden – und die Panduren sollten keinesfalls deren Kopie werden. Für Müller-Hahl, der über Erfahrung als Skilehrer verfügt und mit einer Pädagogin verheiratet ist, zählt als wichtigste Voraussetzung für Betreuende ein „Gespür für Kinder in Extremsituationen“. Die Helfer-Mannschaft wuchs über die Jahre aus Ehemaligen oder Eltern von Ehemaligen. Rund 17 Erwachsene sind als Betreuerinnen und Betreuer im Kostüm dabei.
„Wir haben angefangen mit nichts“, erinnert sich Müller-Hahl an die Anfänge seines ehrenamtlichen Engagements. Sein Sohn Manuel, der zwischen Studium und Beruf ins Familienbusiness Pandurenlager hineingewachsen ist, begann seine Ruethenfestkarriere als Ruethenbub. Der 34-Jährige sagt: „Es ist toll, wenn Ehemalige vorbeischauen und sich erinnern an eine tolle Zeit bei uns.“ Für Kommunikation, Fotografie und Filmen ist sein Bruder Markus verantwortlich.
Wild und bewaffnet
Beim Festumzug, der am Samstag und am Sonntag stattfindet, fahren bis zu 20 Mädchen auf dem großen Festwagen mit. Sie mimen gut gelaunt die gefangenen Frauen. Die Jungs laufen zu Fuß. Insgesamt besteht die Gruppe aus 54 Kindern ab der ersten Klasse. Ungeachtet ihrer Gefährlichkeit sind die Panduren, eine wilde Söldnertruppe aus dem Balkan aus Zeiten der Österreichischen Erbfolgekriege, als kleinste, aber stark bewaffnete Soldaten die niedlichste Gruppe im Ruethenfest. Der Raub der Stadtkasse bei der Eröffnung sowie die Überfälle werden spielerisch inszeniert. „Wir machen Besuche, keine Überfälle“, sagt Wolfgang Müller-Hahl. Dennoch seien die Kinder oft kaum zu bremsen.
Ursprünglich war für die Gruppe nur die Teilnahme am Umzug geplant, mit entsprechend geringem Aufwand für die Betreuenden. Da die Panduren aber 1742 die Stadt belagerten, war für Müller-Hahl ein Lager unverzichtbar. Der Bouleplatz in der Lechstraße mit dem etwa in der Zeit der Pandurenbelagerung errichteten Amtsgerichtsgebäude als Kulisse und dem Blick auf die Stadtpfarrkirche und den Schloßberg sei der ideale Standort, sagt er. Seit 1999 also haben die (mit den Ruethenkindern) jüngsten Mitwirkenden ihr eigenes Lager an dem Platz zwischen Brudergasse und AWO. Der ist nicht ohne Tücken, da durch die unter der Grasnarbe liegende Tiefgaragendecke kein Wasser ablaufen kann, kein Lkw aufs Gelände fahren darf und keine Pflöcke eingeschlagen werden können. Muskelkraft, Dreibeine und feste Gestelle, beispielsweise für den Schlagbaum, sind die Lösung. Der Requisitenbestand wuchs im Lauf der Jahre. Vieles, was früher Fest für Fest von neuem ausgeliehen werden musste, gehört jetzt dem Verein.
Ohne Helfer wie einen Erpftinger Landwirt, der mit einer alten Maschine Strohballen anfertigt und liefert, Schreiner, die Krummsäbel sägen, Installateure, die für Wasser und Strom sorgen, sowie viele Spenden und finanzielle wie handwerkliche Unterstützung durch den Lions Club sei das alles nicht möglich, sagt Wolfgang Müller-Hahl dankbar.
Ohne das Engagement seiner Frau und seiner Söhne stünde die Abteilung ebenfalls nicht da, wo sie heute steht. Denn in der Freizeit wird konstruiert, Material besorgt und im Garten in Erpfting gebaut. „Das Bauen ist nur der erste Teil“, sagt er, „es macht den Flair aus“. Der Hauptteil beginne, wenn die Kinder kommen.
Jeder soll teilhaben können
Neben den Mitwirkenden dürfen auch Kindergartenkinder und Kinder aus der Heilpädagogischen Tagesstätte, den IWL-Werkstätten und aus Kaufering, „die sonst durchs Raster fallen“, sowie die Helfer für ein paar Stunden Lagerflair an den nicht-offiziellen Festtagen genießen. „Das Lager ist immer belebt“, betont der oberste Pandur, Wolfgang Müller-Hahl.
Jedes Mal mit neuen Ideen
Nach dem Umzug geht es ins Pandurenlager, wo zahlreiche Bastelstationen und Spielangebote auf die Kids warten. Bei jedem Ruethenfest gibt es Neuerungen, die Ideen gehen nicht aus.„Keiner hatte letztes Mal ein Verlangen nach einem elektronischen Gerät“, erinnert sich Manuel Müller-Hahl an den Erfolg des vielfältigen Angebots. Die Kinder dürfen sich mit Waffen ausstatten „so viele in den Gürtel passen“, was immer wieder für lustige Szenen sorgt.
Auch wenn es von außen aussehe wie ein Kindergeburtstag, sei es ein Anliegen, den Mädchen und Jungen die Geschichte ihrer Stadt nahezubringen – durch Geschichtenerzählen am Lagerfeuer, gemeinsamem Anschauen von Bilderbüchern und „bewaffnete“ Spaziergänge, sagt Wolfgang Müller-Hahl. Damit alles klappt, gibt es zahlreiche Regeln. Denn im Lager gibt es Gefahrenquellen wie Stroh und Feuer, Holzwaffen und auch lebendige Tiere (Hühner, Schafe und Ziegen), auf die es Rücksicht zu nehmen gilt. „Am Anfang glaubt man nicht, dass es glattgeht“, sagt Wolfgang Müller-Hahl kopfschüttelnd.
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